Der Holzfäller 🪵

Der Mann von Welt trägt heute Wald – Ein Abgesang auf den urbanen Holzfäller

Willkommen in der GroĂźstadt, wo der Bart dichter ist als der Verstand.

Kaum hat man ein hipsterfreundliches Café betreten, riecht es nach Hafermilch, Selbstverwirklichung und: Bartöl mit Zedernholznote. Die Luft ist schwer von maskulinem Überkompensationsduft, und ich frage mich ernsthaft, ob ich gerade einem Barista oder einem pensionierten Waldarbeiter gegenüberstehe.

Denn ja – wir leben im Zeitalter des urbanen Holzfällers. Echtes Handwerk? Fehlanzeige. Aber Hauptsache der Bart ist akkurat gestutzt, die Haare streng zur Seite gelegt wie beim preuĂźischen Hauptmann, und das Flanellhemd sitzt wie frisch aus dem Katalog fĂĽr „Outdoor-Lifestyle in der Altbauwohnung“.

FrĂĽher: Bart aus Faulheit.

Heute: Bart als Imagekampagne.

Versteht mich nicht falsch: Ein Bart kann gut aussehen. Ein Bart kann Ausdruck von Reife sein. Oder Bequemlichkeit. Oder Hautunverträglichkeit gegenüber Rasierklingen. Aber was da aktuell durch die Innenstädte stolziert, ist keine persönliche Entscheidung mehr, sondern ein modischer Gleichschritt in einer Armee der Bartuniformierten.

Gefühlt jeder zweite Mann zwischen 25 und 35 trägt heute einen Vollbart, der länger gereift ist als seine politische Meinung. Kombiniert mit Hornbrille, Holzperlenarmband und einem Vintage-Rucksack, in dem vermutlich ein MacBook, ein Moleskine-Notizbuch und die letzte Ausgabe von Brand Eins wohnen – aber ganz sicher kein Beil.

Der Trend macht alt – und das ist Absicht.

Was frĂĽher das erste eigene Tattoo war, ist heute der Bart: ein Reifezeichen. Ein Statement: „Schaut her, ich bin nicht mehr so jung wie ich aussehe. Ich bin ein Mann. Ein Denker. Ein stiller GenieĂźer.“ Nur blöd, dass alle diesen Satz gleichzeitig rufen – und dabei exakt gleich aussehen.

Da wird die Stirn gerunzelt, die Stimme tiefer gestellt, die Haltung betont „geerdet“. Dabei steht man doch eigentlich nur im Supermarkt und überlegt, ob man die Bio-Kichererbsen oder die regionalen Linsen für den nächsten Kochabend mit Kimchi-Dip nehmen soll. Authentizität? Wurde wohl versehentlich beim letzten Man-Bun abgeschnitten.

Kann Männlichkeit bitte wieder individuell werden?

Ich frage mich ernsthaft, wann genau wir beschlossen haben, dass „männlich wirken“ automatisch „bärtig wirken“ bedeutet. Seit wann ist ein Gesicht ohne Gestrüpp verdächtig? Und warum ist es plötzlich ein mutiger Akt, sich glatt zu rasieren?

Männlichkeit – echte, reflektierte, stabile Männlichkeit – braucht keinen Bart. Sie braucht Rückgrat, Humor, Haltung. Keinen stilisierten „Ich könnte jederzeit einen Baum fällen“-Look, während man die Kettensäge nur vom Hörensagen kennt (und eigentlich Lärm meidet, weil’s auf Instagram schlecht rüberkommt).

Fazit: Rasierklingen an die Macht!

Ich sehne mich nach Gesichtern. Echten Gesichtern. Nicht hinter Bärten versteckte Identitäten. Nicht nach dem 137. urbanen Wikinger auf dem Fixie-Bike.

Lieber ein ehrliches Babyface mit klugen Gedanken als ein künstlich gealterter Bartträger, der mit 28 aussieht wie sein eigener Großvater – aber keine Meinung zu irgendwas hat, das über Kaffeeröstung hinausgeht.

Der Bart ist tot. Es lebe der Typ mit Charakter.

Mein Bart ist älter als deine Meinung – Im Gespräch mit einem urbanen Holzfäller ohne Wald

Tatort: Berlin-Prenzlauer Berg, ein CafĂ© namens „KoffeinKarma“.
Sitzgelegenheiten: Paletten mit Jutekissen.
Musik: Akustikversion von Nirvana auf Ukulele.
Unser Gast: Lennart (31), Urbanist, Kreativberater und Bartträger aus Ăśberzeugung.

Meckerbude:
Lennart, du trägst einen imposanten Vollbart. Ist das Ausdruck deiner Persönlichkeit oder wächst der einfach schneller als dein Selbstbild?

Lennart:
(lächelt milde)
Der Bart ist fĂĽr mich ein Statement. Ein Zeichen von Erdung. Von RĂĽckverbindung zur Natur. Auch wenn ich in einer Dachgeschosswohnung ohne Balkon lebe.

Meckerbude:
Du wirkst sehr naturverbunden – trägst aber einen Mantel aus recyceltem PET und isst Goji-Beeren, die mehr Flugmeilen haben als ein Lufthansa-Pilot.

Lennart:
Nachhaltigkeit ist eine Reise, keine Destination. Ich kompensiere meine Avocado-Exzesse durch tägliche Achtsamkeit und den Verzicht auf Rasur. Außerdem trage ich meine Mütze seit drei Jahren. Im Sommer wie im Winter. Das ist mein ökologischer Fußabdruck im Kopfbereich.

Meckerbude:
Hättest du den Bart auch, wenn er nicht im Trend wäre?

Lennart:
Ich trage den Bart nicht wegen des Trends. Der Trend hat sich mir angepasst. Ich hatte Bart, da war der Großteil noch mit Pickeln beschäftigt. Und mein Barbier sagt, ich bin ein Pionier der Gesichtshaarkultur.

Meckerbude:
Glaubst du, dass sich Männlichkeit heute über Bärte definiert?

Lennart:
Nein, aber ein Mann ohne Bart ist wie ein Podcast ohne Jingle. Irgendwie unvollständig. Der Bart ist nicht nur Style, er ist ein Filter zwischen mir und der Hektik der Welt.

Meckerbude:
Und wie sieht dein typischer Tag aus – als moderner Holzfäller?

Lennart:
Ich beginne mit 15 Minuten Journaling in mein Notizbuch aus Steinpapier. Danach ein Hafer-Cappuccino mit Collagenprotein. Dann geht’s an meine Projekte – aktuell designe ich ein App-Interface für ein Start-up, das Menschen mit ihren Pflanzen vernetzt. Mittags: Açaí-Bowl mit Fermentations-Topping. Abends: Selbstfindung mit Tarotkarten und Indie-Doku auf Arte Mediathek.

Meckerbude:
Schon mal einen echten Baum gefällt?

Lennart:
Nur metaphorisch. Ich habe einmal meine toxische Beziehung zu industriellem Zucker gekappt.

Meckerbude:
Letzte Frage: Was wĂĽrdest du jemandem sagen, der findet, dass der Vollbart-Trend langsam durch ist?

Lennart:
Der Trend ist nicht durch – er ist nur nicht bereit für die nächste Stufe. Ich arbeite gerade an einer Bartmeditation für TikTok. Und wer dagegen meckert, hat wahrscheinlich einfach Angst vor seiner eigenen Haarlosigkeit.

Meckerbude-Redaktion:
Wir danken für das Gespräch – und fragen uns insgeheim, wie lange man in Berlin wohl braucht, um den Bart wieder loszuwerden. Spoiler: Mindestens bis der nächste Trend kommt. Oder bis wieder jemand Mut zum Kinn zeigt.

MeckerBoss

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