H wie Heuchelei – Wenn das Kulturgut nach Diesel stinkt
Zwischen Kulturgut und Steuerschnäppchen – Eine Abrechnung mit Deutschlands rostiger Doppelmoral auf vier Rädern
Es gibt Momente, da wĂĽnsche ich mir, das H-Kennzeichen hätte ein Verfallsdatum. Oder wenigstens einen Realitätsabgleich. Denn was einst als wohlmeinende MaĂźnahme zur Bewahrung automobilen Kulturguts gedacht war, ist heute fĂĽr viele nichts weiter als der goldene SchlĂĽssel zur steuerlichen Selbstveredelung. „H wie Historisch“ – schön wär’s. In der Realität bedeutet es oft: „H wie Hauptsache billig und bloĂź keine grĂĽne Plakette nötig.“
Von wegen Sonntagsausflug im Blechdenkmal
Ein Mercedes W123, ein Golf 1 oder der obligatorische 80er-Jahre-BMW mit kaputtem Fahrwerk und originalem Schweißgeruch: Ja, sie alle sind mittlerweile „Oldtimer“ – laut Gesetz. Doch der Alltag auf deutschen Straßen zeigt ein anderes Bild. Da juckeln Menschen tatsächlich Tag für Tag mit ihren emissionsfreudigen Relikten durch die Stadt, zur Arbeit, zum Supermarkt, zum Baumarkt. Und das ganz legal. Dank dem Heiligenschein auf dem Nummernschild.
Während Otto Normalverbraucher für seinen Euro-5-Diesel aus dem Jahr 2012 heute schon wie ein Umweltverbrecher behandelt wird, schwingen sich Hobbykonservatoren in ihre blechgewordene Vergangenheit und genießen Steuererleichterung, Versicherungsrabatte und freie Fahrt durch Umweltzonen. Ironie des Tages: Ein 40 Jahre alter Benz darf durch die grüne Zone, ein moderner Hybrid nicht – wenn er nicht brav als E-Auto registriert ist.
ℹ️ Was ist ein H-Kennzeichen eigentlich?
Kurz zur Einordnung für alle, die nicht täglich im Paragraphendschungel campieren:
Ein H-Kennzeichen („H“ = historisch) darf ein Fahrzeug in Deutschland führen, wenn:
- Es mindestens 30 Jahre alt ist (ab Erstzulassung),
- es sich in einem guten, weitgehend originalen Zustand befindet,
- und die Zulassungsstelle eine Oldtimerbegutachtung nach §23 StVZO absegnet.
Ziel des Gesetzgebers: Erhalt des kraftfahrzeugtechnischen Kulturguts.
Klingt edel. Ist es auch – wenn es denn dabei bliebe.
Steuerersparnis & Umweltzonen: Der eigentliche Antrieb?
Wer mit H-Kennzeichen fährt, zahlt pauschal 191 Euro Kfz-Steuer pro Jahr – unabhängig vom Hubraum oder der Emissionsklasse. Klingt wie ein netter Bonus für Enthusiasten – ist aber der eigentliche Köder für viele Alltagsfahrer, die sich so um viele Euro Steuer im Jahr drücken. Kombiniert mit Oldtimerversicherungen für 100–200 Euro jährlich ist das plötzlich verdammt attraktiv.
Willkommen im Subventionsparadies fĂĽr Nostalgiker mit schlechtem Gewissen.
Und dann wären da noch die Umweltzonen. Während Millionen Autofahrer brav umweltfreundlichere Fahrzeuge kaufen (müssen), rollt Opa Horst mit seiner qualmenden 70-PS-Limousine durch die Innenstadt, als wäre es 1983 und der Feinstaub ein uraltes Märchen.
Kulturgut oder Katalysator fĂĽr Klimakollaps?
Jetzt kommt der unangenehme Teil: Ein Oldtimer hat im Schnitt einen 6–10 Mal höheren CO₂-Ausstoß als moderne Fahrzeuge. Die Abgasnormen? Ein Witz. Rußfilter? Damals war der noch Science-Fiction. Katalysator? Vielleicht, wenn nachgerüstet. Oder eben gar nicht.
Und trotzdem dürfen diese rollenden Relikte alles, was ein moderner Kleinwagen nicht darf. Warum? Weil angeblich nur 0,5 % der Fahrzeuge in Deutschland Oldtimer mit H-Kennzeichen sind. Aha. Und wenn jeder von denen das als Alltagsauto nutzt? Wer misst das eigentlich? Genau: niemand.
Was ursprünglich als Ausnahme gedacht war, wird so zur stillschweigenden Regel: Subventioniertes Umweltsäuen mit dem Segen des Gesetzgebers.
Das Problem ist nicht das Auto – es sind die Fahrer
Versteht mich nicht falsch: Ein liebevoll gepflegter Oldtimer auf einem Treffen unter Gleichgesinnten? Wunderbar. Technikgeschichte zum Anfassen, mit Respekt vor dem Original und seinem Zeitgeist.
Aber: Wer seine Karre jeden Tag durch den Berufsverkehr peitscht und dabei grinst, weil er weniger Steuern zahlt als der Azubi mit dem sparsamen Kleinwagen, hat das Prinzip „Kulturgut“ nicht verstanden – sondern missbraucht.
Ganz zu schweigen von den „Nachhaltigkeits-Heuchlern“: Leute, die ernsthaft glauben, dass das Weiterfahren eines 40 Jahre alten Autos umweltfreundlicher sei als ein neuer Wagen – weil ja keine „graue Energie“ für Neuproduktion entsteht. Klingt erstmal plausibel. Blöd nur, dass diese Rechnung genau dann nicht aufgeht, wenn das Ding täglich läuft wie ein Pizzalieferdienst auf Crack.
Oldtimer gehören ins Museum – oder in den Sonntag
Ein Oldtimer ist keine Steuerersparnis mit Rädern. Kein Freifahrtschein ins grüne Gewissen. Kein Alltagsauto. Sondern ein Stück Geschichte, das man pflegt, zeigt, liebt – und dann wieder wegstellt. Wer wirklich Kulturgut bewahren will, tut das mit Bedacht. Wer bloß billig fahren will, soll sich einen Kleinwagen kaufen. Oder ehrlich sein und das „H“ auf dem Nummernschild in „Heuchelei“ umdeuten.
Vorschlag zur GĂĽte: H-Kennzeichen nur mit Nutzungskontingent
Wie wär’s mit einem einfachen Kompromiss? Wer sein H-Kennzeichen will, bekommt es. Aber gekoppelt an eine Jahreskilometergrenze von z. B. 2.000 km. Alles darĂĽber: Steuer wie bei einem normalen Fahrzeug.
Und Umweltzonen? Nur für echte Oldtimer-Gelegenheitsfahrten. Nicht für den täglichen Weg ins Büro. Wer mit seinem 123er Diesel zur Arbeit pendeln will, soll zahlen wie jeder andere auch.
Fazit: Nostalgie ist kein Umweltschutz
Das H-Kennzeichen ist eine gute Idee – die gerade mit Anlauf gegen die Wand gefahren wird. Es war nie dafür gedacht, dass Deutschland sich sein Feinstaubproblem mit einem rostigen Grinsen schönrechnet. Und auch nicht dafür, dass Alltagsfahrer unter dem Deckmantel der Kulturpflege einfach billiger davonkommen.
H wie Historisch? Ja.
Aber bitte mit Haltung. Nicht mit Auspuffqualm und Moralrabatt.
đź—Ż Deine Meinung?
Bist du selbst H-Kennzeichen-Fahrer? Oder findest du auch, dass hier zu viel durchgewunken wird? Schreib’s in die nicht vorhandenen Kommentare – oder halt’s Maul, wie in den 80ern.
